Schmerz zu verstehen ist hilfreich

Warum sind die verschiedenen Säulen der Yogatherapie so wirkungsvoll für die Linderung von Schmerzen? Um dies zu beantworten, ist es hilfreich, zunächst einmal Schmerz zu verstehen. In der ersten Folge widmen wir uns den Grundlagen. Also was Schmerz ist und wie es zum Schmerzerleben kommt. In der zweiten Folge betrachten wir akute und chronische Schmerzen. Mit diesem Wissen schauen wir im dritten Artikel auf die wirksamen Möglichkeiten der Linderung von chronischen Schmerzen.

Wozu erlebst Du Schmerz?

Schmerz ist ein ausgeklügeltes Warnsystem bei Verletzungen von Körper und Seele. Auch wenn der Schmerz Dich mehr oder weniger schikaniert, meint er es doch nur gut. Sobald Du in Gefahr bist, solltest Du handeln, um Dich zu schützen und weitere Schäden zu meiden. Ohne Schmerzsignale würdest Du viele Krankheiten und Verletzungen viel zu spät feststellen und Dich sogar selbst verstümmeln.

Doch Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Wenn Du beispielsweise gut gelaunt oder abgelenkt bist, empfindest Du Schmerz oft weniger intensiv. Genauso wenn Du einen harmlosen Schmerz erwartest oder glaubst ihn beeinflussen zu können. Bist Du hingegen traurig, erschöpft oder ängstlich, spürst Du ihn meist intensiver und häufiger. Und Du nimmst ihn stärker wahr, wenn Du einen starken Schmerz erwartest.

Da wir alle einzigartig sind, ist auch Dein Schmerz immer einzigartig und auf keine andere Person der Welt übertragbar. Selbst wenn Du Zahnschmerzen erlebst, fühlen die sich wieder ganz anders an als Rückenschmerzen oder?

Wie Du Schmerz erlebst und bewertest ist subjektiv und nicht messbar. Äußere und innere Reize beeinflussen das Schmerzgeschehen. Deine Emotionen, Gefühle, Gedanken, Erwartungen/Annahmen sowie Deine Lebens- und Schmerzerfahrungen hemmen oder befeuern das Schmerzempfinden.

Ganz schön viele Einflüsse oder? Doch genau deshalb gibt es so viele Yogatherapie-Optionen, um Schmerz ohne Medikamente zu lindern ;-).

Schmerz verstehen Teil 1 Schmerzskala

Was reagiert bei Schmerzen?

Die Antwort auf diese Frage muss ich differenzieren. Bei Gewebeschäden reagieren spezielle Schmerzfühler. Diese sogenannten Schmerzrezeptoren sind überall im Gewebe verankert. Sie schlummern die meiste Zeit vor sich hin. Erst im Schadensfalle werden sie aktiv und melden über das Rückenmark die Bedrohung ans Gehirn. Diese Schmerzform nennt man in der Medizin nozizeptive Schmerzen.

Es gibt Schmerzrezeptoren die sich auf Hitze und Kälte und andere wiederum auf chemische oder mechanische Reize spezialisiert haben. So melden sich beispielsweise die einen bei Verbrennungen, die anderen bei einer Schnittwunde, andere bei einer Magenkolik usw. Zum Teil lösen sie sehr hilfreiche und vor allem blitzschnelle Schutzreflexe aus. Wenn Du beispielsweise auf eine heiße Herdplatte greifst, sorgt ein Reflex für das Wegziehen der Hand noch bevor Du den Schmerz Deiner verbrannten Hand wahrnimmst.

Schädigungen des Nervensystems lösen neuropathische Schmerzen aus. Entweder ist ein Nerv oder ein ihm versorgendes Blutgefäß beschädigt oder erkrankt. Die Nerven melden ihre eigene Störung dem Gehirn. Multiple Sklerose, Gürtelrose oder eine Verletzung können hier die Ursache sein.

Auch Mischformen von Gewebe- und Nervenschädigungen kommen vor wie beispielsweise bei Tumor- oder Rückenschmerzen.

Seelische Schmerzen wie Trauer oder Liebeskummer werden ebenfalls als Schmerz empfunden, obwohl weder Gewebe gereizt noch ein Nerv geschädigt wird. Meist sprechen wir in solchen Fällen eher von Leiden.

Wie kommt es zum Schmerzerleben?

Schmerz verstehen Grundlagen- Neuromatrix

Dein Nervensystem steuert nahezu alles, was in Deinem Körper geschieht, so auch wenn Du in Gefahr bist. Nachdem Gefahrenmeldungen ans Gehirn übermittelt wurden, wertet es zusätzlich die aktuelle Lage aus. Neben den körperlichen Reizen, sind das auch Deine Emotionen, Gefühle, Gedanken, Erwartungen/Annahmen sowie bisherigen Lebens- und Schmerzerfahrungen. Man kann sagen, da findet eine rege und für Dich unbewusste Kommunikation im Gehirn statt.

Sollte Dein Gehirn das Ergebnis dieser Auswertung als Gefahr einstufen, kann das der Auslöser für einen Schmerz sein. Nun also spürst Du Deinen Schmerz. Vielleicht nimmst Du gleichzeitig Angst, Wut und/oder Trauer wahr, denn Schmerz wird auch immer emotional bewertet.

Die Auswertung erfolgt trotz der vielen Reize in Sekundenbruchteilen. Nur so kann Dein Nervensystem zu einem Ergebnis kommen und reagieren, um schlimmstenfalls auch Dein Überleben autonom zu sichern. Daran sind viele Nervenzellen beteiligt und miteinander in einem Nerven-Netzwerk verlinkt. Nervenzellen sind echte Teamspieler. Mit jeder Schmerzerfahrung lernen die Nervenzellen mehr über Gefahren. Das verbessert ihre Teamfähigkeit und die Verlinkung innerhalb ihres Netzwerkes. Die Reize geleiten über die Zeit besser durch dieses optimierte Netzwerk.

In der Neurologie nennt man die Vernetzung von Nervenzellen und ihre Lernfähigkeit Neuroplastizität. Wie bei jeder anderen Lernerfahrung auch. Wenn Du beispielsweise eine Sprache erlernst, wird die Vernetzung mit fortschreitendem Lernen optimiert und Du beherrschst die Sprache immer besser. Je intensiver Du Schmerz lernst, desto mehr Expertise sammelst Du auf diesem Gebiet und reagierst sensibler auf Gefahren. Ein typisches Beispiel sind sanfte Berührungen, die nach einer Verletzung auch schon eine Schmerzempfindung auslösen können.

Im nächsten Artikel schaue ich auf die Unterschiede von akuten und chronischen Schmerzen.